Mittwoch, 20. Oktober 2010

Vom Winzer lieber nicht zum Millionär


Eine französische Winzerfamilie wird unverhofft zum Star einer japanischen Manga-Reihe.

Paris Vielleicht hat er ja manchmal davon geträumt. Aber als es dann wahr wurde, als der alte Mann eines Morgens den E-Mail-Briefkasten öffnete und anstatt der üblichen fünf, sechs Bestellungen Hunderte vorfand, bekam er es mit der Angst zu tun.


Jean-Pierre Amoreau hatte seinen Frieden damit gemacht, im Schatten großer Bordeaux-Weingüter wie Château Palmer oder Mouton Rothschild eine kleine treue Klientel zu beliefern. Dass die von der Familie seit 14 Generationen bestellten 25 Hektar Rebland über Nacht zu den weltberühmten Domänen aufgeschlossen und Kunden aus aller Welt angelockt haben sollten, war dem Winzer nicht geheuer.
Denn die Anfragen, die der 72-Jährige vorfand, kamen ja nicht aus der Nachbarschaft. Diejenigen die da in Massen nach seinem Rebensaft verlangten, waren Amerikaner, Taiwanesen, Koreaner und vor allem Japaner. Und noch etwas verblüffte den Mann mit dem schlohweißen Haar und dem sonnengebräunten Teint. Alle wollten den einen, den für 15 Euro die Flasche feilgebotenen "Château le Puy 2003". Gerade einmal 250 Sechserkisten hatte Amoreau davon noch auf Lager.

Er griff zum Telefon, wählte die Nummer des Mannes, der in Japan den "Château le Puy" vertreibt. Was der Winzer zu hören bekam, ist ihm zwar noch immer nicht geheuer. Aber es klang schlüssig und erwies sich schon bald als wahr. Der Franzose hatte es im Land der aufgehenden Sonne zum Helden gebracht, zum Comic-Helden, der den Menschen den "Château le Puy 2003" vermacht hatte, den "Wein aller Weine", den "Göttertropfen".

Ausgedacht haben sich das drei Japaner, ein unter dem Pseudonym Tadashi Agi schreibendes Geschwisterpaar und der Zeichner Shu Okimoto. Ihre Fortsetzungsgeschichte "Der Göttertropfen", von der in Japan Ende September der 25. Band erschien, ist ein Welterfolg. Sie handelt von einem greisen Weinliebhaber, der seinen beiden Söhnen einen mit kostbarstem vergorenem Rebensaft gefüllten Keller hinterlässt sowie ein etwas kryptisch klingendes Testament. Darin hat der Erblasser bestimmt, der Keller möge demjenigen Sohn gehören, der als erster zwölf Rätsel löst, von denen ein jedes einem edlen Wein gewidmet ist, den es aufzuspüren gilt. Wobei dem Sieger noch eine weitere Pflicht obliegen soll. Einen 13. Wein hat er zu finden, den Wein aller Weine eben, den Göttertropfen.

Und dann ist es passiert. Das japanische Fernsehen, das sich im Glanz des Comic-Erfolgs sonnen wollte, hat die Serie verfilmt. Neun Folgen à 45 Minuten hat es ausgestrahlt. Und es hat Nägel mit Köpfen gemacht, in der letzten Folge Ross und Reiter benannt, Weinbauer und Wein. In aller Deutlichkeit bekamen die Zuschauer das Etikett des Göttertropfens zu sehen.
"Château le Puy", stand da in altmodisch-eckigen Lettern. Darüber prangte das Familienwappen der seit 1610 Rebensaft kelternden Winzer mit der fünfzackigen Krone sowie der Hinweis auf das Anbaugebiet "Bordeaux Côtes de Francs".

Amoreau hat seinem heroischen Comic-Ebenbild keine Schande gemacht. Anstatt dem schnöden Mammon zu verfallen, sich die Gesetze des Marktes zunutze zu machen und den in Hongkong für mehr als 1000 Euro die Flasche gehandelten Göttertropfen an Meistbietende loszuschlagen, hat der Winzer den Verkauf eingestellt. Allein Stammkunden dürfen noch zugreifen, für 18 anstatt bisher 15 Euro die Flasche. Der Rest, rund 1200 Flaschen, bleibt im Keller, bis der Hype vorbei ist.
In zehn Jahren will der Franzose 300 Flaschen freigeben, in 20 Jahren weitere 200. Die Familie Amoreau hat ihre Prinzipien. Mit Wein zu spekulieren und irrwitzige Preise zu erzielen, dazu gebe er sich nicht her, sagt Amoreau.

So entschlossen er allerdings auch versucht weiterzumachen, als ob nichts wäre: Es gelingt ihm nicht ganz. So sind etwa kürzlich die Comic-Autoren bei ihm aufgetaucht. Der Winzer ist ihnen nicht böse. Eine "profunde Weinkenntnis" bescheinigt er ihnen. Sie hätten rund um den Erdball mehr als 30000 Weine gekostet, erzählt Amoreau. Dass das Geschwisterpaar einen davon für göttlich erklärt hat, sagt er nicht. Das muss er ja auch nicht. Das hat sich inzwischen ja sowieso herumgesprochen.

(von Axel Veiel: Berliner Zeitung am 20.10.10)

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